honig.meer.licht
[honey.sea.light]
for cembalo and electronics (4-channel tape) (2020)
duration: 15’
premiere: 21/06/2021 in the Brucknerhaus Linz, Mahan Esfahani (cembalo)
self-publishing edition: make contact
Am Rande einer Klippe schwebend ziehen sich
Zeitlinien zusammen zu einem farbigen Strom
aus der leuchtenden Tiefe des Abgrunds
in die unerklärliche Höhe des Himmels
wie kondensiertes Honiglicht.
Die Komplexität des Materials an sich ist heute nicht mehr alleiniger Träger für Innovation. In anderen Worten: es ist nicht schwierig mit komplexem Material, komplexe Stücke zu erschaffen. Ich finde es hingegen viel spannender in den einfachen Dingen, etwas Neues, Unerklärliches, Interessantes und Komplexes zu entdecken.
Die Komposition besteht aus dem einfachen Material der diatonischen Tonleiter (weiße Tasten). Die Komplexität entsteht in der unendlichen Kombination diatonischer Klänge, Cluster und in der Tiefe der Zeitwahrnehmung.
Unendlich viele Risse und Farben in der Glasur eines bayerischen Nusskuchens. Und man fragt sich: warum bin ich hier? Wo enden die Risse der Glasur, wo fangen die Risse in mir an? Das Unerklärliche im Alltäglichen. Das Alltägliche im Unerklärlichen.
Jede Präzision jeglicher Art wird zwangsläufig poetisch. Es ist ja nicht so, dass ich unbedingt poetisch oder künstlerisch wirken will - doch wenn man das genau Beobachtete und Gehörte präzise wiedergibt, entsteht automatisch etwas Poetisches, das über das hinaus zeigt, für das man es gewöhnlich hält.
So wird die diatonische Tonleiter und das historisch wirkende Cembalo präzise und genau durchleuchtet, indem der gesamte Klangraum langsam und sich unmerklich stetig verändernd klanglich wahrnehmbar gemacht wird. Der ständige Wandel und das ständige Zueigenmachen der Wirklichkeit ist der Grund für das Beschreiten des eigenen Weges. Das, was bleibt, ist die Veränderung.
Für Veränderung muss man nicht in exotische Länder reisen, um Exotisches zu erfahren: Wenn man genau hinschaut, ist jede Kartoffel einzigartig.
Musik ist nichts anderes als das Wahrnehmen des Klanges und somit der Zeit. Wenn wir die Zeit wahrnehmen, löst sie sich paradoxerweise auf.
Und was gibt es Schöneres als zeitlos in den unendlichen Rissen der Glasur eines bayerischen Nusskuchens zu schwelgen?
ENGLISH TEXT
Hovering on the edge of a cliff,
timelines draw together
to form a colourful stream
from the luminous depth of the abyss
to the inexplicable height of the sky,
like condensed honey light.
The complexity of the material itself is no longer the sole vehicle for innovation. In other words, it is not difficult to create complex pieces with complex material. I find it much more exciting to discover something new, inexplicable, interesting and complex in simple things. The composition consists of the simple material of the diatonic scale (white keys). The complexity arises in the infinite combination of diatonic sounds, clusters and in the depth of time perception.
Infinite cracks and colours in the icing of a Bavarian nut cake. And you ask yourself: why am I here? Where do the cracks in the icing end, where do the cracks in me begin? The inexplicable in the everyday. The everyday in the inexplicable.
Any precision of any kind inevitably becomes poetic. It's not that I necessarily want to seem poetic or artistic - but when you precisely reproduce what you have observed and heard, something poetic automatically emerges that points beyond what you usually think it is.
In this way, the diatonic scale and the historically seeming harpsichord are precisely and accurately illuminated by making the entire sound space slowly and imperceptibly constantly changing perceivable in sound. The constant change and the constant drawing of reality is the reason for treading one's own path. That which remains is change. For change, one does not have to travel to exotic countries to experience the exotic: If you look closely, every potato is unique.
Music is nothing other than the perception of sound and thus of time. When we perceive time, it paradoxically dissolves.
And what could be more beautiful than to wallow timelessly in the infinite cracks of a Bavarian nut cake?