floris glacialis
for string orchestra (2024)
instrumentation: 8-6-5-4-3
duration: 20'
premiere: 29/01/2024 in the Wiener Musikverein, Wiener Concert-Verein Orchester (direction: Oscar Jockel)
self-publishing edition: make contact
Frühlingstraum
Ich träumte von bunten Blumen,
So wie sie wohl blühen im Mai,
Ich träumte von grünen Wiesen,
Von lustigem Vogelgeschrei.
Und als die Hähne krähten,
Da ward mein Auge wach;
Da war es kalt und finster,
Es schrieen die Raben vom Dach.
Doch an den Fensterscheiben,
Wer mahlte die Blätter da?
Ihr lacht wohl über den Träumer,
Der Blumen im Winter sah?
Ausschnitt aus Schuberts Winterreise, Gedicht von Wilhelm Müller ‘Frühlingstraum’
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Der Frühlingstraum mit seinen blühenden Blumen ist kein Traum. Der Traum ist in Wahrheit die vertiefte Realität. Jemand wacht auf und sieht tatsächlich die Blumen aus Eis an den Fensterscheiben. So müssen wir nur aufwachen, um die alltägliche Schönheit um uns herum zu sehen. So verhält es sich auch mit Klang, der uns immer umgibt. Das Klangmaterial in dem Werk floris glacialis (auf Deutsch Eisblume) ist modal, ohne Vorzeichen, ganz weiß, Jahrtausende alt. Doch mit einem neuen Blick fängt der bekannte Klang wieder zu vibrieren an, so wie unser vibrierender Draht zur Realität, den wir spüren, wenn wir ganz da, ganz im Hier und Jetzt sind. Zugleich sind die Blumen im Frühlingstraum keine besonderen, fantasmagorischen Blumen. Sie entstehen durch klare physikalische Gesetzmäßigkeiten. Dennoch ist jede Eisblume absolut einzigartig und offenbart uns in ihren unendlichen Symmetrien ihre individuelle Schönheit. Auch floris glacialis verwendet klare musikalische Formen und einen strengen inneren und äußeren symmetrischen Aufbau. Aber letztendlich nehmen wir die Zahlen in der Partitur oder die physikalischen Gesetze unseres Alltags nicht wahr. Sondern wir spüren die Wärme der Sonne, den Duft von Schnee oder einen fließenden Akkord wie eine vorbeiziehende Wolke. (Oscar Jockel)